Reisebericht

Auf dem Vollschiff "Christian Radich" im Novembersturm von Brest nach Oslo

(2001)

Ahoi Kameraden, nun bin ich bereits seit einer Woche wieder im Lande und wollte mal so hören was ihr auf dem Atlantik so erlebt habt. Jürgen und Wolfgang habe ich ja noch in Brest getroffen und ich habe von ihnen einiges erfahren über ihre Fahrt von New York heimwärts. Besonders die Azoren müssen wohl sehr gut gewesen sein!

Ich bin auch sehr zufrieden, ich habe sehr viel erlebt. Vom Natur- und Segelerlebnis wohl bisher die beste Fahrt. Zum ersten mal im Leben nicht 0-4 sondern 8-12! Das gilt sowohl für die Wache als auch für die Windstärken.

Die "Christian Radich" ist pünktlich ausgelaufen und wollte sich beeilen um rechtzeitig in Oslo zu sein. Doch es geht nicht immer so wie geplant...

Durch den englischen Kanal kamen wir sehr gut mit 4-5 Bft im Rücken. Aber nach zwei Tagen Fahrt kurz vor Erreichen der südlichen Nordsee tat sich was. Der Schiffszimmermann ging rund und verschloss alle Bullaugen. "Na ja, der Käpt'n erwartet schwere See", murmelte er zur Erklärung. In der nächsten Wache wurde das Vordeck gesperrt und der Ausguck kam aufs hintere Deck weil immer mal wieder Wasser über den Bug spritzte. Als es immer öfter vorkam, wurden die Belüftungsrohre alle mit Segeltuch verschlossen und Strecktaue auf allen Decks gespannt. In dieser Nacht waren alle glücklich dran die in einer Hängematte schliefen.

Gegen Morgen wurde alles Tuch bis auf die Stagsegel eingeholt, das Deck aufgeklart und dann mühsam jedes Tau auf der Nagelbank mit zusätzlichen Bändseln festgebunden. Das Laufen war jetzt echt schwierig geworden. Alle Türen wurden fest verschlossen, nur noch durch das Deckshaus im Achterdeck konnten wir aufs Banjerdeck. Als die Wellen immer mal wieder über Bord kamen, wurde auch der Aufenthalt auf dem Hauptdeck untersagt. Antreten war nun immer hinter dem Deckshaus in der Captains Corner. Schön Wind- und Sprühwassergeschützt.

Der Wind wurde immer heftiger, die analoge Windmesseinrichtung reichte nicht mehr aus, er war stärker als 25 m/s und die Nadel ging immer wieder übers Skalenende hinaus. Einfach irre, ich habe es keine Minute unötig lange unter Deck ausgehalten und bin ständig oben gewesen. Zweimal kanm ein Containerschiff an und wir mussten Notausweichmanöver fahren. Diese Schiffe hatten wohl Probleme. Sie wurden total überwaschen und glichen manchmal eher einem U-Boot. Die Radich dagegen hielt sich erstaunlich gut. Hätte ich nicht gedacht. Immer wenn der Klüverbaum sich hoch in den Himmel reckte und dann tief in ein Wellental stürzte, dachte ich, gleich ist es aus. Aber die See wälzte sich nur über das Vordeck und verlor sich wieder. Das Krängen war aber teilweise so stark, dass die Mess-Libelle auch nicht ausreichte: Die Luftblase stieß immer wieder an das Ende der Röhre und kam nicht weiter. Also mehr als 45°.

Als ich mir einmal einen Kaffee holte machte ich Bekanntschaft mit den Tücken der Schräglage: Ich hielt meinen Becher ordentlich unter die Kaffeemaschine und drückte den Knopf. Folge: Ein 45°-Strahl heißen Kaffees schoß am Becher vorbei und mir quer über alle Finger.

Gerne hätte ich mehr Fotos gemacht, aber es war sehr riskant. Ein Schwall Salzwasser oder Sprühregen mit über 100 Km/h wäre das Ende der Kamera gewesen. Und ständig flog mir die Kapuze vom Kopf. Dabei hatte ich mein neues Ölzeug vorher noch im Auto bei offenem Fenster auf der Autobahn getestet.

Mittags zerriss dann mit einem Kanonenschlag das Großstengenstagsegel. Aber erst als Käpt'n Gunnar (der letzte Wikinger) in vollem Ölzeug persönlich auf der Brücke erschien, wusste ich, jetzt wird es ernst.

Wir haben alle mal die Wellenhöhe geschätzt: Sie gingen höher als das Schiff, ich schätzte so 6 Meter, im Logbuch stand später bis zu 8 Metern. Die Schauerböen konnten nur noch digital ermittelt werden, ich habe eimal 54,7 Knoten aufleuchten gesehen, andere sprachen von einem Maximum von 60 Knoten, das entspricht einenm orkanartigem Sturm von 11 Bft. Irgendwann kam dann mal die Sonne raus und es war ein großartiger Anblick. Das grüne Meer mit den Schaumkronen die vom Wind weit weggerissen wurden. Und dieser Lärm in der Takelage. Sirren, Jaulen und Trommeln! Dazu die vielen unbeeindruckten Seevögel die mit einer Seelenruhe durch die Wellentäler segelten. Eine herrliche Schöpfung.

In der Nordsee haben wir 24 Stunden verloren weil einfach nur abgewettert wurde. Aber im Skagerrak wurde alles wieder aufgeholt. Windstärke 8-9 von schräg hinten! Dabei wurde die angegebene Maximalgeschwindigkeit von 14,5 Knoten überboten und 15 erreicht. Und auf unserer Wache wurde ein Jahresbest-Etmal erzielt: 50 Seemeilen in einer Wache! Dieser Rekord wurde natürlich gefeiert.

Nachts gab es nochmal Aufregung. Nord- und Ostseewellen kreutzten sich und es war extrem unruhige See. Ständig fielen die Töpfe aus den Regalen der Küche, kein Mensch konnte schlafen. Ich war oben an Deck und schaute mir das herrliche Meeresleuchten an. Jede Welle die über Bord kam brachte kleine Leuchtpunkte mit, die über das Deck zischten. Wie Glühwürmchen des Ozeans! Und über uns ein ungewöhnlich klarer Sternenhimmel mit vielen Meteoriten. Wie kann man da in der Hängematte liegen? Außerdem war im Banjerdeck durch das Verschließen der Türen und der Lüftungen eine unglaublich dicke Luft. Ein Vogel (könnte eine Amsel gewesen sein) wurde völlig ermüdet und durchnässt in die Kombüse gebracht, aufgewärmt, getrocknet und gefüttert. In einem Karton auf trockenen Handtüchern gekuschelt verbrachte er die Nacht.

Dann um 3 Uhr ein Alarm über Funk: Ein Containerschiff hat seine Ladung verloren, letzte Position natürlich nur wenige Seemeilen von uns entfernt. Also dicke Strahler auf das Vordeck und äußerste Wachsamkeit. Treibende Container können Löcher in die Bordwand reißen. Aber es ist nichts passiert, kein treibendes Hindernis wurde entdeckt.

Am folgenden Tag dann ein echter "Sonnen-Tag"! Keine Wolke, 12°C, 6 Bft, volle Segel, norwegische Südküste und Oslofjord. Der Vogel wurde aus seinem Karton geholt und in die Luft gehalten. Glücklich flog er einmal rund ums Schiff und verschwand nach Süden.

Einen halben Tag später als geplant waren wir im Hafen. Dort wurde die Besatzung begeistert emfangen. (Käpt'n Gunnar übrigens von einem winzigen Baby)

Ich habe dem Henry schon gesagt: Das wird wohl meine letzte Segeltour sein, andernfalls würde ich ständig sagen: Damals war es besser. Aber mal sehen...

Roland Garburg

Weitere Infos findet Ihr unter anderem unter http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Radich


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