Reisebericht

Ein Törn auf der Brigg Roald Amundsen

(8. bis 21. April 2001)

Das Abenteuer beginnt am Frankfurter Flughafen. Ich stehe vor einer großen Tafel, die anzeigen soll, welche Fluggesellschaft an welchem Terminal zu finden ist. Aber die SATA, die mich auf die Azoren transportieren soll, findet sich nicht darunter; die muss bei der Information erst erfragt werden. Eine geraume Weile später sitze ich im richtigen Flieger und erblicke nach 4 ½ Stunden Flug unter einem Wolkenloch Sao Miguel, die östlichste Insel des Azorenarchipels. Unsere Maschine, eine Boeing 737, kurvt zum Landeanflug ein und ich sehe hinterhalb des Hafens von Ponta Delgada eine mit einer gewissen Steigung hangaufwärts verlaufende Landebahn, die gerade mal für Sportflugzeuge der Größe von Cessnas groß genug zu sein scheint. Das Abenteuer setzt sich also fort. Aber die Boeing schafft es tatsächlich und kommt auf dem letzten Meter der Landebahn zum Stehen.

Für die folgenden zwei Wochen soll nun meine reichlich geweckte Abenteuerlust auf den schwankenden Segelschiffsplanken der Brigg Roald Amundsen Nahrung finden. Die liegt nämlich schon im nahegelegenen Hafen und soll mich und meine zukünftigen Bordkameraden nach Brest, welches in der nordwestlichsten Ecke Frankreichs liegt, bringen. Aber was heißt hier bringen? So ein Rahsegler fährt nicht von alleine, denn solch ein aufwändig getakeltes Schiff braucht viele tatkräftig zupackende Hände. Ich bin ja eben genau aus diesem Grunde hier und will meinen Beitrag dazu leisten, diesen Traditionssegler, der den Winter auf den Kanaren verbracht hatte, für die vorgesehene Etappe in seine heimatlichen Gewässer, nämlich in die Ostsee, zu überführen. Für verwöhnte Passagiere ist der Einsatz der Roald Amundsen nämlich nicht vorgesehen. Aber ich weiß, was auf mich zukommt und bin dazu bereit!


© Ulrich Stollberg

Bald darauf stehe ich mit meinem Gepäck auf der Kaimauer und schaue ehrfürchtig nach oben. Immerhin ragen die beiden Maste dieser Brigg, die nun vor mir liegt, bis auf 34 Meter Höhe über der Wasserlinie hinauf. Und es liegt auch in meiner Absicht, bald in luftiger Höhe herumzuturnen. Verzeihung! Mitzuarbeiten. Aber noch habe ich ein wenig Bedenken.

Bevor ich über die Stelling das Schiff betrete, habe ich noch schnell meine Blicke auf Bug und Heck der Brigg geworfen. Der geschwungene Vorsteven mit dem weit überragenden Bugsprit, welcher durch einen Klüverbaum beachtlich verlängert wird, erinnert mich an einen Klipper. Das Heck dagegen hat ein wenig von einem Kümo. Tatsächlich war dieses Schiff 1952 zunächst als Tanklogger erbaut worden und hatte zu DDR-Zeiten der NVA gedient. Im Rahmen von ABM-Maßnahmen hatte dann 1992 der Verein LebenLernen auf Segelschiffen e.V. in Wolgast das hässliche Entlein zu einem stolzen Schwan transformiert. Von diesem Verein (http://www.sailtraining.de) wird die Brigg bis heute auch betrieben. Trotz der alles andere als modern wirkenden Erscheinung, ist die Roald mit zeitgemäßer Technik und Sicherheitsausrüstung versehen. Radar und Rettungsinseln sind selbstverständlich, es gibt u. a. aber auch GPS- und Inmarsatanlagen.

Inzwischen ist es Abend geworden und nun werden allen Neuankömmlingen Kammern und Kojen zugewiesen. Auf der Roald stehen für maximal 45 Mann bzw. Frau Kabinen mit 2-6 Kojen zur Verfügung. Bald sollte ich feststellen, dass sich die mir zugewiesene Kabine nur durch Kojenanzahl und den fehlenden winzigen Schreibtisch von der Kapitänskajüte unterscheidet. Das soll nun nicht heißen, dass hier gediegener Luxus herrscht. Ganz im Gegenteil: Kapitän und Steuerleute finden sich hier mit der gleichen praxisorientierten Bescheidenheit ab wie die Trainees. Vielleicht bezeichnet man die Räumlichkeiten deshalb einfach als Kammern.

Außerdem wäre zu sagen, dass sich hier grundsätzlich jeder duzt. Damit wäre ich beim Thema Hierarchie an Bord: Da gibt es die Stammbesatzung, die aus der Schiffsführung besteht, welche alle erforderlichen Patente hat, um dieses Segelschiff auf allen Weltmeeren zu fahren, einem urigen Bootsmann, sowie den Deckshänden bzw. Toppsgasten, die schon so erfahren sind, solch einen Rahsegler zu segeln um nebenher auch noch uns Trainees einzuweisen. Der Stamm macht dies ehrenamtlich bzw. aus Enthusiasmus - wie auch immer. Geld wird damit jedenfalls keines verdient. Als Trainees werden wir Mitsegler bezeichnet, die aus Lust an traditioneller Seefahrt, Liebe für Segelschiffe oder einfach nur wegen einer Neugierde für eine ganz, ganz andere Welt bereit sind, einen Obolus zu entrichten. In der Summe kommen auf diesem Törn 31 Personen (zwischen 17 und 65 Jahre alt) heraus, 8 davon weiblichen Geschlechts. Man kommt aus allen Ecken Deutschlands, was sich leicht heraushören lässt. Da ist hamburgerischer, berlinerischer, sächsischer, schwäbischer und bayerischer Akzent zu vernehmen. Noch sind wir ein kunterbunter Haufen und kaum einer kennt den anderen.

Am nächsten Tag stechen wir noch nicht in See; schließlich muss unser Schiff zuerst noch an einen anderen Liegeplatz verholt und anschließend frisch verproviantiert werden. Eine Kette bildend üben wir uns in Teamwork und holen einen Karton mit Lebensmitteln nach dem anderen an Bord. Dann werden wir in 3 Wachen eingeteilt, die künftig pro Tag zweimal à 4 Stunden das Schiff zu fahren haben. Jede Wache besteht nun aus je einem erfahrenen Steuermann und Toppsgasten, auch Topsie genannt, sowie 7 Trainees. Thomas heißt unser Topsie und ist zuständig für die 8-12 Uhr Wache. Dieser weist uns Neulinge in die verwirrende Vielfalt von Segeln, stehendem und laufendem Gut ein und nennt uns die entsprechenden Fachbezeichnungen. Mit anderen Worten: Er macht uns Neulingen klar, an welchen "Schnüren" wir bald zu ziehen haben. Tatsächlich wird für Trainees keinerlei Vorerfahrung vorausgesetzt und Einige von uns haben in ihrem Leben noch nicht einmal in einer Jolle mit ihren 2 Fallen und 3 Schoten gesessen. Andere dagegen waren schon auf diversen Yachten und Traditionsseglern gesegelt und haben schon mehr oder weniger viel Durchblick. Ich selber bin ja schon vor vielen Jahren auf 2 Dreimastschonern sowie auf der großen und wunderschönen Bark Staatsraad Lehmkuhl gesegelt und habe somit schon einige Vorkenntnisse. Trotzdem ist mir klar, dass ich eine geraume Zeit brauchen werde, um mich, bei dem Wust von 160 zu bedienenden Tampen, auch in der Praxis zurecht finden zu können.


© Frank Weingardt 2003

Danach wird es ernst: An alle, die bereit sind, künftig auch ins Rigg hochzuentern, werden Sicherheitsgurte ausgegeben. Niemand wird hier gegen seinen Willen gezwungen dies zu tun. Aber viele nehmen diese Herausforderung gerne an, bezwingen ihren inneren Schweinehund und versuchen es, die angeborene Höhenangst zu überwinden. So auch ich. Es ist schon wieder 13 Jahre her, dass ich im Rigg der Staatsraad Lehmkuhl war und ich muss mich erneut an den Aufstieg in den leicht schwingenden Wanten sowie an die Höhe gewöhnen. Wir begeben uns zunächst auf die Fockrah, welche sich ca. 11 Meter über dem Deck befindet, lernen wie man sich beim Übertritt von den Wanten auf die Rah sichert und machen uns mit dem Gefühl vertraut, auf Fußpferden (massive Stahlseile unterhalb der Rah, die mit Flusspferden nicht im geringsten verwandt sind) zu stehen. Bevor nämlich die Rahsegel von Deck aus gesetzt werden können, müssen erst die Zeisinge, mit denen sie an der Rah festgezurrt sind, gelöst werden. Die umgekehrte Reihenfolge ergibt sich beim Bergen der Rahsegel. In ungewohnter Höhe machen wir uns mit diesen Gegebenheiten vertraut. Nun stehen uns noch knapp 2 Wochen zur Verfügung, um uns auch noch an größere Höhen heranzuwagen.

Am Abend nutzen noch einige von unserer Crew die Gelegenheit im Ort von Ponta Delgada einen letzten Schluck Bier oder portugiesischen Wein zu genießen, denn an Bord der Roald herrscht aus guten Gründen absolutes Alkoholverbot; Sicherheit wird hier großgeschrieben.

Am Tag darauf laufen wir dann unter Motorkraft aus. Kaum haben wir die schützenden Hafenmauern hinter uns gelassen, geht es auch schon los. Eine mehrere Meter hohe Dünung wirkt von dwars, also ungünstigerweise von der Seite, auf unser Schiff ein, lässt es kräftig rollen und strapaziert somit einige Mägen. Schon bald hängen die Ersten über der Reling. Doch schon nachdem wir die Westspitze von Sao Miguel gerundet haben und mit Kurs Nord vor den Wellen herlaufen wird es angenehmer.

Die Entschädigung für diesen Einstand lässt nicht lange auf sich warten: Erst eine kleine Schule Delfine und dann noch 2 Schildkröten, die sich in einer Entfernung von nur wenigen Metern sehen lassen, abends nochmals 3 Delfine, welche in unserer Bugwelle durchtauchen, erfreuen unsere Herzen. Als sich dann auch noch eine Reihe weißer Rah- und Stagsegel vor dem blauen Himmel blähen, ist für fast alle die Welt wieder in bester Ordnung.


© Klaus Rademacher 2003

Die Atmosphäre an Bord ist von Anfang an prima und es wird viel gelacht und gealbert. Schon nach kurzer Zeit auf See entwickelt sich ein Teamgeist, wie er im gewöhnlichen Leben an Land nur allzu selten geworden ist. Frauen stehen ihren Mann und beweisen, dass sie mindestens ebenso höhentauglich sind wie das starke Geschlecht. Männer beweisen sich beim Kartoffelschälen und als Backschafter in der Kombüse. Eventuelle Vorurteile werden schnell abgebaut. Jeder ist von nun an regelmäßig an der Reihe um sich als Ausguck oder Rudergänger zu betätigen, macht mit beim Aufklaren des Decks (Klarschiff) und beim Reinigen desselben bzw. auch beim Putzen der russischen Unterseebootpumpklosetts (Reinschiff). Langsam werden wir zu einer großen Familie bei der natürlich auch jeder Einzelne gewisse Vorlieben aber auch Abneigungen hat. Dabei kristallisieren sich bei jedem gewisse Stärken oder Schwächen heraus.


© Klaus Rademacher 2003

Dank der guten Zusammenarbeit klappt auch die weniger beliebte Arbeit in der Kombüse. Einen Smut haben wir nämlich nicht an Bord. Aber tatsächlich schaffen es die 3 Backschafter, ein täglich wechselndes Team, immer wieder, ein Essen, manchmal sogar einen Kuchen, zuzubereiten. Und das trotz der widrigen Umstände: Auf schlüpfrigen Fliesen stehend, in einer ständig schwankenden Kombüse, welche mit Strecktauen gesichert und damit auch versperrt ist. Als ich dann dran bin, habe ich zunächst Bedenken, ob ich dies einen ganzen Tag durchstehen werde.

Diese, doch eher schwierige, Aufgabe gemeistert zu haben, motiviert mich anschließend dermaßen, dass ich mich in meiner Mittagspause entschließe, im Rigg ganz nach oben zu entern. Der Himmel ist blau, die meisten Segel sind gesetzt, und so kann ich von der Bramsaling und auch vom Großtopp, oberhalb von der Royalrah, so ganz nach meinem Geschmack Fotos schießen. Plötzlich genieße ich die 30 Meter Höhe, die mir bisher noch nicht so ganz geheuer gewesen war und ein Gefühl von Romantik keimt in mir auf.


© Klaus Rademacher 2003

An dieser Stelle möchte ich etwas zum Thema Seefahrtromantik sagen: Oft zum Klischee beschönigt, manchmal von nüchternen Realisten als Unsinn abgewertet, behaupte ich: Und es gibt sie doch! Nur ein Beispiel: Die Windverhältnisse haben während einer meiner Wachen ein Bergen des Außenklüvers, der sich oft hartnäckig weigert, sich herunterholen zu lassen, erforderlich gemacht. Ich melde mich freiwillig und komme so in den Genuss, zusammen mit Sylvia, einer jungen, hübschen Bordkameradin, auf den Klüverbaum hinauszusteigen, der ca. 12 Meter über den Bug hinausragt und eine Höhe 11 Meter überm Meer erreicht. Dort mühen wir uns dann gemeinsam ab, das große Segel einzuholen und einzubinden. Die momentanen Verhältnisse rundum bieten Romantik pur: Ein sternklarer Himmel, klarer als ich ihn je über dem Festland gesehen hatte und Backbord voraus ein orangefarbenes Licht, welches von der Kimm himmelwärts gerichtet ist und so aussieht, als ob dort eine Großstadt wäre. Mitten auf dem Atlantik? Es ist ein Nordlicht. Und um dem noch eins drauf zu geben, leuchtet ab und zu auch noch die Bugwelle hell auf und glimmende Boller, die aussehen wie neongrüne Tennisbälle, kommen mit der weißen Gischt hoch und verschwinden wieder. Später werden wir dann aufgeklärt: Es handelt sich um fluoreszierendes Plankton. Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich diese Behauptung für Seemannsgarn abgetan. Dieses Ereignis wird mir unvergessen bleiben.


© Niels Peter Jørgensen 2003 http://www.joergensen.com

Weniger toll findet unsere Crew das Nachlassen des Windes während der folgenden Tage. Eigentlich haben wir alle in diesen Breiten zuverlässige Westwinde erwartet. Doch die bleiben aus. Heinz, der Steuermann, auch leidenschaftlicher Meteorologe, erklärt uns anhand von einem Plot aus dem Wetterdrucker die aktuellen Wettergegebenheiten: Wir sind von weiträumigen Hochs umzingelt. Traumhafte Verhältnisse für Touristen, aber für uns Windjammersegler ein echter Jammer. Ich bin ein wenig neidisch auf diejenigen Crewmitglieder, die schon zuvor auf der Route von Teneriffa nach Sao Miguel gesegelt waren. Die hatten mal unter Vollzeug, also mit 18 Segeln, einen 9er Wind gehabt. Da waren schon mal die Wogen übers Schanzkleid gerauscht, so dass schleunigst die Obersegel geborgen werden mussten. Das hätte ich auch gerne miterlebt. Dennoch muss ich mich fragen, wo denn meine eigenen Grenzen liegen. Wäre ich da noch bis zur Royalrah, also bis zur obersten Rah hinaufgeentert?

Da muss ich an die Kameraden von der Gorch Fock, an die einstmaligen Berufsseeleute, besonders aber an die Kap-Horn-Fahrer denken. Bei einem heftigen Sturm, bei eisiger Kälte, triefender Nässe und pechschwarzer Dunkelheit ist das Hinaufentern auf 50 oder gar 60 Meter Höhe kein Spaß mehr. Wir alle sind diesen Leuten Respekt schuldig. Und ich werde wieder bescheiden, denn irgendwo hier in der Nähe war 1957 die Viermastbark Pamir im Sturm gekentert und gesunken.


© Niels Peter Jørgensen 2003 http://www.joergensen.com

Bei uns an Bord geht es nun weniger dramatisch weiter. Die Maloche mit den Segeln hat jetzt Pause. Nun sind unsere 2 Maschinisten die wichtigsten Leute an Bord. Diese lassen ihren liebevoll gepflegten 8-Zylinder, eine über 50 Jahre alte deutsche U-Boot-Maschine, schnurren. Die 300 PS treiben nun die Roald für ein paar Tage mit 8 Knoten voran.

Nachdem wir schon einige Tage unterwegs sind, geht mein heimlicher Wunsch in Erfüllung. Ich war gewiss nicht der Einzige, der dieser Hoffnung schon eine Zeitlang nachhing, aber ich bin letztendlich der Glückliche, der dann nach mehreren Tagen querab einen auftauchenden, blasenden Wal sichtet. Ich brülle dann auch gleich so laut ich kann, aber zu diesem Zeitpunkt sind gerade mal 5 oder 6 Personen an Deck und nicht alle davon sehen dann den Wal auf Anhieb bzw. beim nächsten Auftauchen. Wir wenigen Privilegierten sind aber recht zufrieden. Sicherlich war der Wal nicht gerade der allergrößte, er war auch gut 100 Meter weit weg gewesen, aber Wal ist Wal.

Weitere Erlebnisse sind für mich sind das Aufentern ins Rigg bei hereinbrechender Dunkelheit oder das Hinaussteigen auf den Klüverbaum zum Bergen der Vorstagsegel bei pechschwarzer Nacht. Eine neue Erfahrung sammle ich bei der Handhabung der vielen Tampen; und zwar ohne jede Beleuchtung. Da muss schon mal die Belegung der Nagelbänke systematisch abgetastet sowie die einzelnen Tampen nach Geitauen (dick) und Gording (dünn) unterschieden werden, um auf den richtigen zu stoßen. Toppsie Thomas ermuntert uns dazu, das System dieses "Glücksspieles" zu erkennen. Wieder lerne ich hinzu und freu mich bei jedem Treffer. Ich komme zu der Erkenntnis, dass das Segeln auf einem Rahsegler dieser Größe ein sehr intensives Erlebnis ist. Die Handhabung ist aufwändiger als bei einem Schoner und jeder einzelne von uns ist direkter ins Geschehen mit einbezogen als bei einem Großsegler mit 175 Mann Besatzung, wo in einer Wache gleich 50 Trainees sind. Anschließend versüßt uns Heinz, der Steuermann, mit seiner täglichen Tafel Schokolade, die nach Norden zu immer kälter werdende Nachtwache.

Nach 10 Tagen nähern wir uns dem Ärmelkanal. Der zunehmende Nordwind erlaubt es uns, nun wieder Segel zu setzen um nach Osten, also Kurs Brest, zu segeln. Aber es ist nicht nur der Wind, der zunimmt. Während wir mitten auf dem Atlantik pro Tag gerade mal 1 Schiff gesichtet hatten, nimmt nun auch der Schiffsverkehr ständig zu. Frachter, Kreuzfahrer und Kriegsschiffe huschen um uns herum. Sogar ein 2-motoriges Sportflugzeug rast im Tiefflug auf uns zu und umkreist uns dann langsam. Wir vergönnen dem Piloten den Anblick unserer segelnden Brigg und ich wünschte mir selber den Genuss einer totalen Außenansicht von unserer Roald unter Segeln.


© Niels Peter Jørgensen 2003 http://www.joergensen.com

Dann laufen wir in den seit Jahrhunderten gut gesicherten Fjord von Brest ein, um gegenüber von den ehemaligen deutschen U-Boot-Bunkern einen Ankerplatz anzusteuern. Da läuft ein schnittiger 2-Mast-Toppsegelschoner mit schwarzem Rumpf und 8 Stückpforten auf weißem Pfortengang direkt auf uns zu. Werden wir nun so kurz vor dem Ziel von Piraten überfallen? Mitnichten! Dieser Gedanke entspricht nur meiner persönlichen Vorliebe für historische Seefahrt. Es handelt sich um die Recouvrance, einem hölzernen Schoner, der 1817 entworfen wurde. Dieser Schiffstyp entspricht tatsächlich jenem, wie ihn Piraten und Korsaren damals wegen seiner Geschwindigkeit und Wendigkeit bevorzugt haben; nur die Kanonen fehlen hier. Dieser Schoner hier wurde jedoch erst vor wenigen Jahren liebevoll restauriert und nimmt bis zu 7 zahlende Mitsegler auf kurzen Törns mit.

Am Tag darauf liegt die Roald vertäut an der Kaimauer, deren Höhe sich im 6-Stunden-Rhythmus ständig zu verändern scheint. Der Tidenhub beträgt hier immerhin 6 Meter.

Wir sind nun am Ziel unseres Törns angelangt und man nutzt die Gelegenheit, sich noch ein wenig die Stadt Brest anzuschauen. Ich schaffe es letztendlich auch noch, die Recouvrance zu besichtigen.

Bald werden wir uns in alle Winde zerstreuen; jetzt, wo man inzwischen wirklich zu einer Crew zusammengewachsenen ist. Zuvor erhalten wir noch unsere Meilenbestätigungen und Adresslisten für künftige Kontakte.

Zuletzt, nach einem kurzen Abschied, rasen wir im TGV, dem französischen Schnellzug, oder im Jet, schneller in unseren Alltag zurück, als uns eigentlich lieb ist.

Erwin Welker

Törninfos findet Ihr unter http://www.sailtraining.de


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