„Mit der SEDOV von Rostock nach Portsmouth"

 

Ein Reisebericht von Manfred Hoppe aus Döbern

11. August 2001


Heute geht es nach Rostock, einen Tag früher vor dem Anmustern an Bord, um noch etwas Hanse-Sail-Luft 2001 zu schnuppern.


Schon auf der Autobahnanfahrt meldet sich das Fernsehteam mit Ute von der Lieth, wo ich  bleibe, um ihr an Bord zu helfen für die ersten Schritte. Die Masten grüßenSie hat schon Hubschrauberluftbilder des Schiffes auf einen Kurztörn der SEDOV im Kasten. In Rostock, Richtung Warnemünde geht nichts mehr. Ich verspäte mich und muss einen wilden Parkplatz möglichst nahe am Schiff in Warnemünde erspähen, was auch gelingt. Durch die Menschenmassen zum Passagierkai Warnemünde gelingt es mir, mühsam ohne Gepäck zur Gangway vorzukommen. Hallo SEDOV, die Masten grüßen, ein freudiges Gespür durchzieht mich. Eine Art Mischung aus Hochgefühl und alter Vertrautheit wird es wohl sein. Darauf also hatte man sich ein Jahr gefreut, auf das Schiff, seine Menschen und natürlich die noch unbekannten Erlebnisse.


Die Besucher stehen ca. 150 m lang zu 3 Leuten nebeneinander. Pro Nase 5,- DM zum Openship-Besuch, das sind gute Einnahmen für die Schiffskasse. Ich gehe frech vorn heran. „Privjet Malschiki“, sagt man zur Gangway-Wache, 2 Kadetten, die mit  stoischer Gelassenheit die Besucher in kleine Gruppen einteilen und so Melly Walitzageregelt an Bord lassen. „Trainee from Rostock to Portsmouth!“ Ein verstehendes Lächeln, kein Blick auf die gezeigte Traineekarte und sie winken mich durch. Erstaunte, neidvolle Blicke der Menschen begleiten mich. An Deck das übliche Gewühl. Ich schaue mich um, mache von mir kein Aufsehen, weil ich sowieso noch eine Nacht bei meinem Freund Thoralf Waldenburger  bleiben möchte, von dem natürlich nichts zu sehen ist. Der Handy-Anruf zu Hause in Kühlungsborn war auch negativ. Er steckt mit Melly Wallitza im Sail-Gewühl.


Ich spreche eine blonde junge Dame an, die verloren oben am Niedergang steht Ute und ichund immer auf die Pier spät. Frage: „Sind Sie vom Fernsehteam?“ Volltreffer, Freude auf beiden Seiten, bekannt machen, Ute gleich einige Tipps zum Schiff geben und kurze Schiffsführung einbegriffen ist selbstverständlich.


Da es Abend wird, will ich noch einen Pierbummel machen, um vor der Dunkelheit  in Kühlungsborn an Thoralfs Wigwam anzuklopfen. Das Höhenfeuerwerk am Stadthafen kann ich noch sehen und dann ab. Um 24 Uhr wecken mich meine Freunde beim Vorschlafen im Auto. Hallo, hallo, etwas Klönen und Tagesplanung und dann geht es richtig in die Koje.

12. August 2001


Alle sind früh auf. Wen hält es heute lange in den Federn? Das Auto wird im gebührenfreien Parkhaus (so etwas gibt es!) in Doberan abgestellt. Dann geht es mit Thoralf und Melly ab zur SEDOV und mit dem gleichen Trick an Bord vor den unzähligen Besuchern, wie am Tag zuvor. Melly empfiehlt mir im Kubrik 3 gleich ihre vorteilhafte, ehemalige Oberkoje, Schrank daneben, Licht geht, und übereignet mir noch ihre restlichen Lebensmittel. Danke! Ich treffe flüchtig noch Heino von Tettenborn, dem ich versprochen hatte, mich dem Kabel 1 – Fernsehteam zur Verfügung zu stellen. Beide haben es eilig von Bord zu gehen. Gute Reise usw. – auf später!


Ute gabelt mich auf und es kommt ihr erster Wunsch: Für die Aufnahme zu 16:00 Uhr mit Sack und Pack mit anderen Trainees „offiziell“ an Bord kommen, mit erstem eigenen Statement. Machen wir doch selbstredend mit Freundlichkeit, wenn es nicht mehr als 5 Wiederholungen gibt!


Erste Begrüßungen mit der Stammcrew kommen zur gegenseitigen Freude zustande. Sergei Mischinjow erzählt mir freudig, dass er seit 2 Monaten Papa einer Tochter ist. Ljuba, „John“ und Alexander Konstationowitsch werden umarmt und mancher andere  bekommt wenigstens ein herzliches „Privjet“ von mir. Freundliches Wiedererkennen, lachende Gesichter, nur Zeit ist keine. Alle müssen sie arbeiten, Andenken verkaufen an der Pier, Stände bewachen und auffüllen oder desgleichen, auch Oleg Victorowitsch im Service-Shop mit dem 1. Elektriker, wo ich vorbei schaue.


Die weiteren ankommenden Trainees geben sich durch ihre suchenden Augen und das riesige Gepäck zu erkennen. Ich helfe ihnen im Gewühl weiter, so gut es geht. Um 20:00 Uhr verabschieden sich Thoralf und Melly, weil der Zoll an Bord kommt und das Schiff seeklar gemacht wird. Die letzten Hafenlieben müssen mit Tränen von Bord im letzten Moment und 20:30 Uhr fällt mit der Vorspring die letzte Trosse. Der Lotse ist an Bord, „Rot weiß“ weht und der Schlepper zieht an zur kurzen Revierfahrt, bei der Alexander Konstantinowitsch in weißer Arbeitsuniform mit den besten Kadetten laut in gewohnter Weise die Ruderbefehle des Lotsen wiederholt und das Ruder mitwirbelt.


Die 3 Fernsehleute, Ton-Dame Peggy, Kameramann und Chefin Ute wollen unbedingt auf die Besansaling, Ausfahrteindrücke filmen. Also schnell Sergei Mischinjow ansprechen, damit es erlaubt wird und er assistiert, denn er ist für Riggeinweisungen von Neulingen zuständig. Dann wird sich im Leninraum eingefunden zum 1. Bier. Sergei bietet nun Kaffe und  Bier an, auf seine Tochter ein „Nastarowje“, auf ihre Gesundheit und ein glückliches Leben! Es stellt sich heraus, dass alle mitreisenden Trainees Neulinge auf der SEDOV sind und an ihren Fragen ahne ich, was da außer dem Fernsehteam noch auf mich zu kommt. Urlaub wird es nicht immer sein, also alles mit Freude angenommen und für die gute Sache erledigt, nehme ich mir vor. Ziel und Motiv ab heute für beide Aufgaben: Helfen, damit es allen an Bord gefällt und sie eventuell wiederkommen oder mindestens positiv anderen später berichten und Mithelfen für einen gelungenen Fernsehbeitrag von 45 Minuten für Kabel 1 – „Die Reportage“. Das ist eine gute public Relation für das Schiff, denn „Kabel 1“ wird mehr gesehen als „N 3“, deutschlandweit. Noch einige Drehtipps fallen mir ein und dann gehen die Augen auch langsam zu. Also um 23:00 Uhr in die Koje, denn um 4:00 Uhr will ich im Belt am Ruder stehen, wegen der interessanten Passage Dänemarks, der vielen Schiffslichter und der Beltbrücke.

13. August 2001


Mein Wecker piept, leise Ölzeug an und raus. „Dobri Utro Malschiki! Moschno?”, zu deutsch: “Guten Morgen Jungs! Darf man mit Rudergehen?“ -  Man darf und schon verschwindet einer freudig unter Deck. Brückenkommandos in kurzer Folge 0°, 43°....., dichter Schiffsverkehr in der späten Nacht. Es ist lau, etwas Regen, kaum Wind, die Hauptmaschine lässt uns 6 Knoten Fahrt über Grund machen. Zum Wecken um  7 Uhr kommen die ersten Trainees hoch. Ungläubiges Staunen: „Hast du wirklich so lange die 4 Stunden Ruder gestanden? Wie geht so etwas?“  Noch einige kurze Gespräche mit den Kadetten führe ich über Woher und Wohin, um mich 7:30 Uhr mit “Eto Swjo“, „Das war’s“ zum Frühstück abzumelden. Wachwechsel ist eigentlich erst um 8:00 Uhr, aber Traineefrühstück ist jetzt im 1. Schub und ich will sehen, dass alles mit den anderen klar geht beim ersten Bordfrühstück für die Neuen.


Ja, Rudi Brinkmann fehlt überall. Wowa (Wladimir Smirnow) und Dima (Dimitri Rajew) Dimitri Rajewsind junge Wachoffiziere, die ihre Traineebetreuung, neben ihrer Hauptarbeit und Schlafen nach der Wache, machen sollen, genau wie Sergei Mischinjow, der aber Tagesdienst hat. Es sind über 20 Trainees und so kommt diese  Betreuung etwas zu kurz. Also helfe ich wo ich kann, springe auf die Brücke, frage, organisiere und erfülle zwischendurch die Anliegen des Fernsehteams. Nur keine Langeweile bei den neuen Mitseglern aufkommen lassen, sage ich mir. Es wird sich schon alles einspielen. Die Fernsehleute sind nett und ich orientiere sie mehr und mehr auf die Brückenoffiziere, was mich bald tatsächlich entlastet. Ute lässt oben sichtlich ihren Charme spielen und hat mit ihren Wünschen vollen Erfolg. Man sieht es von Deck aus, an den Gesichtern auf der Brücke. Ich kann mich mehr mit unseren Leuten beschäftigen. Wir haben auch die Schweiz und England vertreten, eine gute Truppe, die beim ersehnten 1. Segelmanöver um 12:45 Uhr alle mit zupacken. Gut, dass ich vorher beim Backen und Banken (Mittag) eine kurze Masteinteilung angeregt habe und auch etwas  auf die Nagelbänke zum Belegen, auf ein paar Kommandos und auf die Sicherheit hingewiesen habe. Alle Mars- und Bramsegel stehen bald gut bei Windstärke 4-5, wie ich einschätze, dazu die unteren Schratsegel ohne Besan und 2 Klüver. Das reicht! Um 14:00 Uhr  nehme ich schnell eine Mütze voll Schlaf wegen des Minus heute morgen, mit dem Hinweis, mich bitte zu wecken bei Außergewöhnlichkeiten z.B. „ein halber Flugzeugträger“ oder so etwas, was nach einer Stunde auch eintritt. Stefanie  rüttelt mich: "Komm hoch, kein halber Flugzeugträger, sondern massig Kriegsschiffe passieren uns dicht an Backbord!" Also fix auf. Tatsächlich, eine komplette NATO-Atlantik-Flotte rauscht vorbei, Fregatten (F), Destroyer (D), Minenschiffe (M), ein Spanier, Engländer, Amerikaner, Kanadier, Norweger und ein Deutscher werden im Fernglas klar erkannt. „Nein, kein Schweizer, Junge, das hinten ist noch ein Däne“ wird gefachsimpelt wegen der Flagge und fotografiert wie verrückt. Es ist eitel Sonnenschein, das Rigg trocken, Schiff motort auf ebenen Kiel. Das ist der richtige Moment, die ersten zaghaften Wünsche nach dem ersten Aufentern für unsere neuen Trainees zu realisieren.


Also suche ich Sergei Mischinjow und erkläre es ihm englisch. "Ja, Manfred, wait for a cigarette,  then we can begin!" Prima, also mache ich über Bordfunk meine 1. Brückendurchsage, damit sich alle Interessenten am Großmast mit Gurten bewaffnen und alle, alle kommen und harren mit verstohlenen Blicken nach oben, dem kommenden Ereignis entgegen. Sie fragen: „Gehst du mit?“ –  „Nein, ein Seemann geht nur, wenn er muss. Also geht nur, ich später.“ Es sind genug 5-Mann-Gruppen mit dem Fernsehteam. Und nach jedem gelungenen Niederentern einer Gruppe muss Sergei eine rauchen. Macht 5 Zigaretten zum Abregen sicherlich, denn ein Mann vieler Worte ist er, wie sein Vater, nicht. Alles klappt, aufgeregte Gesichter, fachsimpeln wieder an Deck und die nächsten entern auf!


Zum Abendbrot leichter Regen, die Freunde frieren, also lasse ich den Leninraum unten öffnen mit Bordfunkansage. Abends erkläre ich für Interessierte Thoralfs Segelmodell. Es wird ein Erfolg! Alle begreifen nach einigen Fragen und manchem wird wenigstens etwas klarer, was er heute beim Segelmanöver eigentlich getan hat, beim Zupacken.


Das Essen an Bord ist vitaminreich, reichhaltig und schmeckt. Keiner meckert! Zufriedene Mienen überall. Das ist wichtig, denn sie sehen, dass die Betreuung etwas schleift. Erste dankbare Bemerkungen an meine Adresse fallen diesbezüglich, die ich immer bescheiden abwehre. „Es ist selbstverständliche Hilfe! Ich war auch einmal neu und so weiter...!“ Trotzdem ist voll klar schon heute: Dieser wichtige Punkt muss von irgend einer Seite in Zukunft besser gelöst werden, denn mit der Erklärung, dass Rudi Brinkmann leider fehlt, ist keinem geholfen.


Was ist, wenn kein alter Trainee mal zufällig an Bord ist, der sich um die Neulinge kümmert? Aber die Stimmung ist sehr gut. Ich gehe um 22:00 Uhr schlafen , denn die 2. Ruderwache beginnt um 4:00 Uhr.

14. August 2001


Die Ruderwache verläuft sehr abwechselungsreich mit üblichen kleinen  Smalltalks mit den Kadetten, als plötzlich 6:00 Uhr vor dem Wecken „Parusnij Awral = (Segelalarm) - All hands on Deck“ kommt, Kap Skagen Backbord querab, Regen, schlechte Sicht bei starkem Sportsegelverkehr. Große, schnelle Jachten kommen mit johlender Crew fast zweimal bis auf Handreichweite heran, vor und hinter dem Bug vorbei. Also werden die Segel gegeit und festgemacht und die Maschine bringt uns durch die norwegischen Ölfelder. Sicher ist der Brücke hier das freie Segeln mit den neuen Kadetten zu gefährlich und der Wind ist eben schwach und weht aus ungünstigsten südlichen Richtungen und da eben wollen wir hin. Im Rigg gibt’s beim Bergen am Fockmast eine Panne mit einem Geitau -Steuerbord-Untermars. Also stellt uns Trainees Bootsmann Oleg Bootsmann Olegan das Differentialspill und mit seiner Hilfe klarieren wir die Sache, was dann seine Anerkennung findet, denn andere Leute hatte er gerade nicht hier. So schmeckt das verspätete 8:00-Uhr–Frühstück verdientermaßen noch besser. So haben es sich viele in etwa vorgestellt, höre ich die Zufriedenen. Wenn nur dieser kalte Regen aufhörte! Damit niemand richtig nass wird oder Langeweile hat, organisiere ich den Generalschlüssel für Museum, Kapitänssalon und Kultursaal und mache eine ausgiebige Führung. Viele fragen  etwas mit Interesse, besonders im Museum. Das Fernsehen kommt mit, also wieder ein Statement nebenbei. Sie sollen sich ruhig langsam jüngeren Trainees zuwenden, für junge Gesichter und auch andere Meinungen, äußere ich mich. Das geht auch mehr und mehr. Auch mit den Kadetten hat Ute schon gute Kontakte. Na, Prima!


Ich brauche Igor Jefdokimow, den Segelmacher! Er freut sich in seiner Kammer über den Besuch und erzählt mir seine traurige Beinfrakturgeschichte - unterstützt mit entsprechenden Krankenhausbildern. Segelmacher Igor JefdokimowIch schenke ihm die Grafikporträts und bitte ihn später um Fotoporträts zu ebensolchen Zwecken, was er verständig aufnimmt. Wir rauchen eine meiner Dannemann und dann gehe ich, denn Igor muss wieder in seine Segellast zur Kadettenausbildung. Die guten 4 Grafiken freuten ihn sichtlich, denn er ist historisch interessiert, hatte er doch auch am Schiffsmuseum seinen Anteil. Nach dem Mittagessen versäume ich wieder etwas Nachschlafen, denn es kommt um 15:00 Uhr zum Segelmanöver und bei jetzt gutem Raumwind werden auch noch die letzten  Stagsegel weggenommen. Bei etwas Abfallen könnte ein schöner SW-Wendeschlag gesegelt werden, aber auf der Brücke steuern sie stur Kurs Southend on Sea mit Maschine. Ute kommt mit der voreiligen Information: „Vorfristiges Einlaufen im 1. Hafen wegen einer Festivaleinladung“. Das gibt lange Gesichter, weil alle Aussteiger in Southend ja einschließlich bis Sonntag gebucht haben. Ich beruhige und überspiele, laufe auf die Brücke und sehe mir den Kurs an. Tatsächlich! Irgendetwas zieht die Schiffsleitung in direktem Kurs nach Southend. Gerüchte schwirren weiter. Was also machen? Maschinenraumexkursion in Gruppen in eigener Regie ist die Lösung. Krach betäubt das Denken und weg ist dieser Tiefpunkt bei den Leuten. Bei Jewgeni („John“), dem Carpenter, habe ich zu 20:00 Uhr mit Jewgeni (John)Alexander Konstantinowitsch im Leninraum Knotenvorführung abgesprochen, so glaubte ich es jedenfalls. Bei meiner Nachfrage in der Kammer sitzen alle Stammleute dort freudig zusammen, essen und feiern etwas, es ist rammelvoll aber ich muss mich reinzwängen und bekomme 4 starke finnische Kräuterschnäpse einfiltriert. Junge, Junge! „Leider Knoten keine, vielleicht ein andermal Brüderchen!“ Also mache ich mich höflich raus. Einer besorgt mir, die Lage begreifend, doch ein paar Tampen und so gehe ich rüber in den Club und mache mein Knoten-ABC eigenhändig als Lückenbüßer. Außerdem hatten mich die Fernsehleute heute mehrfach am Haken. Ich musste bei Alla in ihrer Bäckerei mitschwitzen mit 2 Wiederholungen und auch vor dem Maschinenraum und auf der Brückennock agieren mit meinen Statements. Das läuft so nebenbei. Das war ein sehr bunter Tag. Abends beim Knotenmachen und Biertrinken ist die Stimmung wieder sehr gut.

 

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