Mit der "Sedov" von Warnemünde nach St. Petersburg

27. Mai bis 6. Juni 2007

- Reisebericht von Erwin Welker -

Sonntag, der 27. Mai 2007: Anreise

Reisefieber! Nun war es endlich soweit. Der Törn auf der russischen Viermastbark "SEDOV" stand an. Letztes Jahr nämlich waren beide angesagte Törns aus diversen Gründen geplatzt. Nun stand unsere Gruppe aus dem Süden vollständig – und sogar zeitig – am Bahnsteig des Münchener Hauptbahnhofes zur Abfahrt bereit. Pünktlich auf die Minute fuhr der ICE ab. Genauso reibungslos verlief die gesamte Bahnfahrt mit Umsteigen in Hamburg und Rostock.

Das Wetter in Mecklenburg-Vorpommern war bei weitem nicht so schlecht wie der Wetterbericht vorhergesagt hatte; es war halt etwas grau. Aber sofort nach unserer Ankunft in Warnemünde erhellten sich unsere Mienen. Sieben himmelhohe Masten ragten über der Pier auf, 3 von der "MIR" und 4 von "unserer" "SEDOV", beides russische Großsegler. Die "SEDOV" immer noch in Schwarz mit weißen Streifen. Vor der Verfilmung "Der Untergang der PAMIR" war sie nämlich gänzlich weiß gewesen. Besonders Hildegard und Franz, unsere Freunde von der Marinekameradschaft München staunten nicht schlecht; schließlich stand ihnen der erste Törn auf einem Windjammer bevor.

Kurz nachdem wir unseren Kojenplatz in einer von 4 Kammern eingerichtet hatten, verließen wir das Schiff aber schon wieder. Ein letzter Landgang mit Fotografieren war angesagt. Und tatsächlich lichteten sich die Wolken und herrliches Licht gestattete schöne Aufnahmen. Unter dem Schiffsnamen am Bug schimmerten sogar die alten Lettern der ursprünglichen Namen "MAGDALENE VINNEN" und "KOMMODORE JOHNSEN" hervor. So hieß die "SEDOV", welche im Jahre 1923 vom Stapel gelaufen war, vormals nämlich.

Wieder pünktlich, nämlich um 20 Uhr, legte die 117,5 m lange Viermastbark dann ab.

Montag, der 28. Mai 2007: Nebelfahrt

Nach einer ruhigen Nacht musste ich mir erst bewusst machen, dass ich mich auf einem Schiff befand. Unsere Kammern befanden sich im Mittschiffsbereich, die Maschine war so gut wie nicht zu hören, Schwingungen kaum wahrnehmbar und so etwas wie Seegang gab’s nicht. Der 1. Blick aus dem Bullauge, welches sich direkt neben meiner Koje befand, machte eines klar: Es gab auch keine Sicht. Mehrere Kontrollgänge tagsüber übers Deck widerlegten unsere inständigen Hoffnungen. Es gab tatsächlich keinen Wind. Na Bravo!

Schon bald kristallisierte sich heraus, dass ein Einsatz der Trainees durch die russische Schiffsführung gar nicht vorgesehen wurde. Trotzdem wurden wir mit 4 üppigen Mahlzeiten am Tag genauso wie die arbeitende Crew verköstigt. Immerhin entwickelten wir bereits am Montag ein munteres Beschäftigungsprogramm. So entstand ein reger Pendelverkehr zwischen Koje, dem eleganten Kapitänssalon und dem gemütlichen Leninraum weiter vorn im Schiff. Auch das vom Veranstalter gestiftete Bier (unsere freiwilligen Zahlungen sind für den Wiederaufbau des abgebrannten Clippers "CUTTY SARK" vorgesehen) war bereits am 1. Abend deutlich weniger geworden. Zum Trost organisierte Rolf 3 Flaschen Whisky und Genever. Damit war ein lustiger Abend gesichert.

Dienstag, der 29. Mai 2007: Backen und Banken

Beim Aufwachen verspürte ich zum 1. Mal sanftes Stampfen. War heute Segeln angesagt? Mitnichten! Zwar gab es Wellen bis zu 2 m Höhe, auch Wind; aber der kam genau von vorn. Und der Nebel von gestern war immer noch da. Mist! Somit erklärt sich auch, dass Nebel in Englisch u. a. auch Mist heißt.

Dann versagte auch noch die deutsche Pünktlichkeit. Die fürsorgliche Chefin der Messe (uns waren ja 2 Tische im Speiseraum der russischen Mannschaft zugeteilt) bemerkte sofort, dass ihre Gäste die beiden bereits gedeckten Backs nicht besetzten. Mochte man ihr Frühstück nicht? Was war los? Klammheimlich waren über Nacht die Uhren um eine Stunde vorgestellt worden. Uns Statisten war wohl diese Mitteilung vorenthalten worden. Oder wer hört schon frühmorgens russische Meldungen ab?

Und sonst? Schlafen, Schnacken/Ratschen, Lesen, Schreiben, Essen. Apropos Essen: Das gab es vier Mal am Tag, und zwar üppig. Jeweils um 7:30 Uhr, 11:30 Uhr, 15:30 Uhr und 19:30 Uhr war Backen und Banken angesagt. Absolvierten wir hier eine Mastkur? Erklärt sich daraus vielleicht der Begriff 4-Mast-Bark?

Mittwoch, der 30. Mai 2007: Schifffserkundung

Der Mittwochmorgen zeigte nur ein wenig Dunst, ansonsten deutete der Himmel auf einen schönen Tag hin. Den nutzten dann auch einige von uns Trainees um auf den Kreuzmast aufzuentern. Das ist der vorletzte Mast auf einer Viermastbark. Da war ich gleich dabei. Einige wagten sich bis auf die Royalrah hinaus. Das ist die oberste der 6 Rahen eines Mastes. Sie thront 50 m über Normal Null.

Nachmittags wurde noch eine Führung in den engen und lauten Maschinenraum geboten. Stolze 1.150 PS treiben das Schiff an. 3 Jockel stehen zur Stromerzeugung zur Verfügung.

Abends wurden, genau wie in alten Zeiten, muntere Würfelspielchen im Leninraum abgehalten. Hildegard, die Frau von Franz, kümmerte sich hinreißend um uns. Sie achtete beständig darauf, dass wir nicht dehydrierten, sorgte für Kaffee und Tee und schenkte uns Bier nach. Das auch an all den folgenden Tagen auf See. Vielen Dank nochmals an sie!

Um 22 Uhr wurde die Zeit schon wieder mal um eine Stunde vorgestellt. So kam es, das wir um 24 Uhr bei hellem Licht – sozusagen bei Mitternachtssonne – den Überholvorgang des Kreuzfahrtschiffes „AIDA“ und eines noch schnelleren RoRo-Schiffes erleben konnten.

Donnerstag, der 31. Mai 2007: Organisationswirrwarr

Dicke Suppe über einem spiegelglatten Teich. Wind Null! Das einzige Geräusch welches den dichten Nebel durchdrang war Kurtis Stimme: "Quittenmarmelade!" Aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte :-) Fragt ihn mal!

Nach dem Mittagessen besuchte uns der Schiffsarzt im Kapitänssalon. Nicht etwa, weil er die deutschen Trainees für krank hielt, sondern um uns ein paar freundliche und gute Tipps für die Exkursion in St. Petersburg zu geben. Sehr erfreulich war die Mitteilung, dass die "SEDOV" nicht in der Werft, sondern direkt am Passagierkai liegen werde. Ursprünglich war nämlich wegen eines Ankerschadens anstatt des Stadthafens ein Werftliegeplatz vorgesehen gewesen.

Weniger erfreulich lauteten später am Nachmittag eingehende Informationen. Der Doc befürchtete sogar, dass er den Raum anschließend mit blauem Auge verlassen werde. Sicherheitshalber hatte er diesmal den 1. Offizier mitgebracht. Nun hieß es, dass wir Deutschen nach Ankunft in St. Petersburg baldmöglichst das Schiff zu verlassen hätten, ohne die Möglichkeit wieder an Bord zu gehen. Ein Hotel für 100 $ pro Nacht sei für uns reserviert. Ursprünglich war ja vorgesehen, dass wir noch 3 preiswerte Nächte an Bord der "SEDOV" verbringen könnten. Große Enttäuschung und Misstrauen machte sich breit. Erst nach regem Nachrichtenaustausch mit dem Veranstalter konnten akzeptable Alternativen ausgehandelt werden. Erst dann hob sich die Stimmung wieder.

Nach einem sehr späten, aber wundervollem Sonnenuntergang bereiteten wir uns auf Sabines 27. Geburtstag vor. Mitternachts stießen wir dann die Gläser zum Wohle des hübschen Mädels an. "Prosit, Sabine!"

Freitag, der 1. Juni 2007: Am Ende der Ostsee

Atlantikstimmung! Blaue See! Der 1. Tag ohne Nebel und Nebelhorn - und dazu noch eine kühle Brise. Aber erneut von vorn! Zum Kielschweinmelken! Nachmittags gab es zu unserer Überraschung Erdbeerkuchen und Torte. Dank an Sabine, dem Geburtstagskind und ihren Vater Gerd! Danach war wieder ein Ausflug in den Kreuzmast angesagt sowie ein genüsslicher Aufenthalt auf dem Bugspriet.

Höhepunkt des Tages war Kurtis Sichtung eines gelbgrün gestreiften Haifisches, welcher von einem 8 m hohen Brecher beinahe an Bord gespült worden wäre ;-) Gegen Abend verdichtete sich der Schiffsverkehr. Eine Menge Ankerlieger lagen hier recht voraus. Später warf auch die "SEDOV" dort ihren Anker und lag gemeinsam mit einem Konvoi von über 20 Schiffen, hier am östlichen Ende des Finnischen Meerbusens, vor Reede. Die Inselfestung Kronstadt ganz in der Nähe.

Samstag, der 2. Juni 2007: Gefangen an Bord

Bereits um 4 Uhr wurde der Anker gelichtet. Die Maschine brummte und eine Stunde später ging der Lotse an Bord. Die "SEDOV" drehte ein paar muntere Kreise und schon nach einer halben Stunde verließ uns der Lotse wieder. Vielleicht ist ihm vom Kreisen schlecht geworden. Zwei Stunden später kam ein anderer Lotse an Bord. Diesmal nahm unser Schiff, das rotweiße Lotsenschiff zum 3. Mal passierend, wirklich Kurs auf St. Petersburg.

Es glitt an alten Burgtürmen und düsteren, historischen Festungen vorbei, welche die Einfahrt zur Zarenstadt gesichert hatten. Danach sahen wir das Zarenschloss "Peterhof" und bewunderten die Wasserfälle die in Kaskaden dem Ufer zustürzten. Als wir uns St. Petersburg näherten änderte sich das Bild. Backbords winkten uns am Ufer campierende Russen zu, die in der Vorstadtwildnis bei Bier und Wodka Grillfeuer pflegten. Steuerbords Ölhafen, Containerhafen, Kräne. Die Einfahrt zum Innenhafen ist erstaunlich eng. Da müssen selbst Dickschiffe, so wie die Mega-Kreuzfahrer durch – das aber mit Schlepperhilfe. Zwei von diesen unentbehrlichen Helfern näherten sich der Viermastbark und übernahmen die Leinen; ein Schlepper vorn, einer achtern. An Steuerbord die Industriehäfen und Eisbrecher, backbords die typischen Hochhauswohnblöcke und voraus 2 große Kreuzfahrtschiffe.

Doch nun richtete sich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes: Die Zarenfregatte"„SHTANDART" lief unter vollen Segeln (die hatte ich mir visuell hinzugedacht) auf uns zu. Wollte sie uns entern? Die "SEDOV" war doch bedeutend größer als dieses kleine Kriegschiff vom Ende des 18. Jahrhunderts. Nun feuerten auch noch die Kanonen! Eine tolle Begrüßung, ein herrliches Bild!

Unsere Schlepper bugsierten nun die "SEDOV" an ihren zugewiesenen Liegeplatz. Am Passagierkai, direkt vor der "AIDA". Die Ungewissheit, wo unser Schiff letztendlich liegen werde, hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst.

Crew und Trainees warteten nun ungeduldig auf den Landgang. Aber ohne Freigabe durch den Zoll geht da gar nichts. Schließlich rückte der Zoll an. Beinahe 20 Männer und Frauen, meist uniformiert, rückten an und hinterließen bereits beim Einmarsch einen wichtigen Eindruck. Unsere Pässe, welche wir von der Schiffsführung bereits zurückerhalten hatten, mussten wieder abgegeben werden. Alle, die beabsichtigten an Land zu gehen, mussten sich im großen, runden Film- und Vortragsraum einfinden. Jeder von uns musste sich gegenüber einer aufgetakelten, schwarzhaarigen Zollfregatte einer eingehenden Gesichtskontrolle aussetzen. Mir wurde angst und bang.

Nachdem diese Hürde gemeistert war, mussten wir Trainees uns in unsere engen Kammern begeben und warten, warten, warten. Die Zöllner hatten uns aber längst links liegen lassen. Schließlich durften wir die Unterkünfte wieder verlassen und erhielten sogar unsere Pässe mit dem dringend notwendigen Stempel wieder zurück. Trotzdem blieben wir an Bord gefangen. Schließlich war erst der 2. Juni und die Visa waren für den 3. Juni ausgestellt. Der "Freigang" beschränkte sich auf einen kurzen Marsch zum Duty-free-shop im Passagierterminal um den verbrauchten Flüssigproviant wieder aufzustocken. Immerhin konnte unsere "Haft" mit diesem zollfreien Bier erleichtert werden.

Sonntag, der 3. Juni 2007: Einreise- und Ankunftsabenteuer

Im schönen Morgenlicht betrachtete unsere abreisebereite Truppe das Ablegemanöver der "AIDA". Danach wurden die letzten Gruppenfotos an Deck gemacht - und Abmarsch! Noch ein Blick zurück zu der schönen Viermastbark.

Die beiden Österreicher, die noch mit an Bord waren, hatten sich wohl schon längst mit ihrer Limousine abholen lassen; nun machten wir Deutschen uns auf den Weg zum Passagierterminal. Die Halle mit den Kabinen der Ausreisekontrolle war gähnend leer. Hingen wir schon wieder fest? Was nun? Links vom Duty-free-shop war doch tatsächlich ein einzelner Mensch. Irgendwann kam ein Zweiter. Der Schiffsagent. Der sprach etwas von einem von der Schiffsführung organisierten Bus, der uns zu einem unbekannten Hotel mit unbekanntem Preis an einen unbestimmten Ort bringen sollte. War nicht vom Reiseveranstalter das Cubahostel im Stadtkern für uns reserviert worden? Während dies geklärt wurde, besetzte eine weibliche Amtsperson den Schalter. Strenger Blick, Gesichtskontrolle, Stempeln – das kannten wir mittlerweile. Irgendwann waren alle durch.

Bus war keiner da! Der Schiffsagent war zunächst nicht zu sehen. Die Zeit des erneuten Wartens konnte für den Geldwechsel genutzt werden. Sabine und ihr Vater Gerd mussten zum Flughafen um heimwärts, nach Berlin zu fliegen. Abschiednehmen! Thomas fiel es besonders schwer. Da immer noch kein Bus da war, machten sich 3 von uns mit dem Taxi auf den Weg um die Reservierung im Cubahostel sicherzustellen. Dann kam unser Bus aber tatsächlich; der Ursprüngliche hatte einen Defekt gehabt. Bei der Fahrt ins Zentrum konnten wir erste Eindrücke von dieser schönen Stadt sammeln. Ankunft vorm Hotel.

Wo ist der Eingang? Hotel gab’s hier bei der Hausnummer 5 keines. Schließlich fand der Busfahrer den Zugang zum Treppenhaus. Die Tür zur Herberge musste oben im 4. Stock sein. Erleichterung! Dann traf jeden der Schock. Das Treppenhaus war dunkel und der Geruch wies auf Urin hin. Sofort wieder raus hier! Alleine hätte ich fluchtartig das Gebäude verlassen. Aber in der Gruppe wollte ich nicht den Feigling mimen. So trabte ich tapfer die Stufen hinauf. Überall blätterte die Farbe von den Wänden. Die Elektrik hatte wohl einen Brandanschlag hinter sich und die Decke überm 4. Stock stand wohl kurz vorm Einsturz. Auweh, wir wohnen in einem Abrisshaus!

Im Cubahostel herrschte drängende Enge. Die Zimmer mit 6 bis 8 Stockbetten erinnerten an eine Pfadfinderherberge. Duschen und Toiletten sollten wir noch kennen lernen :-( Dies war eine Absteige für die letzten Abenteurer der Menschheit. Schnell wieder raus hier! Gruppe marsch! Die Lage direkt neben der prächtigen Kasaner-Kathedrale und der Promeniermeile Nevsky Prospekt war immerhin superb.

Dort, in dieser Zentrumsstraße, zeigte sich jeder der sich präsentieren wollte und etwas vorzuzeigen hatte: Motorradfahrer die an ihren Reiskochern oder Harleys den Gasgriff aufdrehten und Stretchlimousinen auf der Fahrbahn; Einkaufsflanierende Leute und viele Frauen mit langen Beinen und kurzen Röcken auf den Gehwegen. Dort, mitten im Gedränge an einer roten Fußgängerampel, wurde Steffen von 3 Männern umringt. Nachdem nach seinen Taschen gegriffen wurde sprang er rasch zur Seite. Das war gerade noch gut gegangen! Vorsicht vor Taschendieben war jedenfalls immer angebracht. Positiv überraschte uns St. Petersburg mit seinen unzähligen schönen Fassaden, den Kirchen und Kanälen. Unglaublich aber wahr: Temperaturen über 30 Grad Celsius!

Montag, der 4. Juni 2007: Weiße Nacht und Abenteuer Bahnfahrt

Nachts, um 0:30 Uhr stand eine Kanalfahrt auf dem Programm. Aber was heißt hier Nachts? Schließlich sind Anfang Juni die berühmten "weißen Nächte" angesagt. So gegen 2 Uhr wird es erst mehr oder weniger dunkel und 2 Stunden später wird’s schon wieder hell. Und genau diese kurze Zeitspanne nutzen wir für eine Kanalfahrt. Die Einheimischen lungern während diesen Mitsommernächten gerne auf den Straßen und an den Kanälen herum. Am nächsten Tag zeugen unzählige Bier- und Wodkaflaschen davon.

Wir aber staunten über die schönen Gebäude entlang der Kanäle mit ihren herrlich beleuchteten Fassaden. Während der ganzen Fahrt wurden in Englisch die unzähligen Sehenswürdigkeiten erläutert. Verstanden hat kaum jemand was. Die Sitzplätze auf dem Oberdeck befanden sich direkt über den brummenden Motoren am Achterschiff und direkt hinterm Heck brabbelten die Auspuffrohre mit imposanter Lautstärke. Höhepunkt der Fahrt waren die reichlich beleuchteten Nevabrücken. Die öffnen sich nämlich Nachts zu genau definierten Zeiten. Und eben genau zu diesen Zeiten nähern sich dann all die vielen Rundfahrtboote der westlichen Brücke, die sich just beim Ankommen öffnet. Dann, bei der nächsten Brücke dasselbe Spektakel. Gelohnt hat sich diese Tour allemal!

Viele Stunden später, nach einigen Stunden Schlaf und einem reichhaltigen Frühstück in einem nahe gelegenen Cafe, marschierte ein Trupp von uns Richtung Metro. Unser Ziel heute war das Katharinenschloss im Südwesten der Stadt. Für die meisten von uns stand die erste U-Bahnfahrt hier in St. Petersburg an. Bis zu 100 m tief liegen die Tunnel. Entsprechend lang und schnell sind die Rolltreppen. Reinhard leitete uns Kyrillisch-Analphabeten. Im Gegensatz zu uns konnte er nämlich die kyrillischen Buchstaben entziffern und Russisch sprechen.

Gemeinsam bestiegen wir die U-Bahn. Mit einem Höllenlärm rumpelte diese los. Toll war der Eindruck des nächsten Metro-Bahnhofs. Selbst Metro-Stationen sind hier nämlich klassizistisch gestaltet und dekoriert. Da wurde natürlich sofort drauflos gefilmt und fotografiert. Das hatte Folgen: Eine Aufpasserin, unten neben der Rolltreppe meldete diesen Frevel sofort nach oben. Dort warteten dann auch schon uniformierte Beamte auf uns und fischten Rolf und Reinhard heraus. Wisse man denn nicht dass hier Fotografierverbot herrsche, fragte der Uniformierte mit dem Hinweis, dass dies doch auf großen Tafeln zu lesen war? Rolf verneinte, wies darauf hin dass wir kein Kyrillisch lesen konnten. Rolf wurde ein Ordner vor die Nase gehalten, in dem diese Verordnung sowohl in Englisch als auch in Deutsch zu lesen war. Nun wurden für die Missetaten 2 mal 100 Rubel (ca. 2 x 3 €) fällig.

Von der Metro ging es weiter zum Bahnhof, dem ältesten in Russland. Reinhard holte sich dieses Mal zuerst die Fotografiererlaubnis ein, erst dann wurde drauflos gefilmt und fotografiert. In einem altertümlich anmutenden Zug mit Holzbänken fuhren wir schließlich hinaus aufs Land. Der Zug passierte den Flughafen sowie ein Bahngelände mit unzähligen abgestellten, vor sich hin rostenden Dampflokomotiven. In Pushkin stiegen wir aus. Nicht so Thomas. Er wollte, wagemutig wie er nun mal ist, auf eigene Faust eine Station weiter fahren um dann von dort zum Schloss der Katharina zu marschieren. An dieser Station aber wurden die Pässe kontrolliert. Thomas hatte diesen aber nicht einstecken. Aus Sicherheitsgründen hatte er ihn im Schließfach des Cubahostels gelassen. Das hätte nun ins Auge gehen können! Zum Glück hatte er aber die imaginäre "Einladung" eines Moskauer Hotels einstecken, welche für die Visabeschaffung notwendig gewesen war, zur Hand. So ließ man den Abenteurer wieder laufen.

Zum Schloss von Katharina der Großen war ein längerer Fußmarsch angesagt. Es liegt inmitten eines großen Parks. Dieser schöne, barocke Bau ist in Blau gehalten und mit weißen Säulen und Zierrat dekoriert. Zum Besichtigen war zunächst Schlangestehen angesagt. Der Eintritt kostet so um die 15 €. Im Preis inbegriffen sind dünne Überzieher, welche man sich über die Schuhe stülpt, so dass man schadlos über die Parkettböden schlittern kann. Die extravagante Einrichtung des Schlosses stellt bis heute einen großen Kontrast zum spärlichen Leben einfacher Leute dar.

Wirklich erwähnenswert ist natürlich das legendäre, wieder errichtete Bernsteinzimmer, dessen Original im Krieg entweder abgefackelt ist oder klammheimlich auf die Seite geschafft wurde. Die Wände dort schimmern in allen Gelb- und Rottönen. Eckhardt lies es wieder drauf ankommen und filmte trotz striktem Fotografierverbot mit seiner Videokamera, alle Geheimagententricks ausnutzend. Nach der Besichtigung kehrten wir im königlichen Schlossbiergarten ein und erfrischten uns. Dort stießen wir auch wieder auf Thomas. Die Rückfahrt erfolgte zu unserem eigenen Erstaunen völlig reibungslos.

Dienstag, der 5. Juni 2007: Stadtrundgänge

Heute war für die Bahnfahrer von gestern Stadterkundung angesagt. St. Petersburg ist nicht nur eine 5-Millionenstadt, sondern auch eine der prunkvollsten Städte der Welt. Unzählige klassizistische Fassaden, verzierte Brücken, vergoldete Kuppeln und Turmspitzen prägen dieses "Venedig des Nordens". Da sind so viele Kathedralen, Kirchen, Schlösser, Festungen und Monumente zu sehen, dass sich diese in diesem Bericht gar nicht alle auflisten lassen. Besonders erwähnenswert sind aber der Winterpalast mit Eremitage, die Isaak-Kathedrale und die Auferstehungskirche (siehe Bild).

In kleinere Gruppen aufgeteilt erkundeten wir Windjammerfreunde die Stadt. Da war gutes Schuhwerk angesagt. Heute stand u. a. der Kreuzer "AURORA" auf dem Programm. Dieser löste 1917 mit einem einzigen Signalschuss die russische Revolution aus. Laut Aussage des Schiffsarztes, die schrecklichste Waffe der Welt: Ein einziger Schuss und 70 Jahre Verwüstung ;-) Bei freiem Eintritt lies sich dieses tadellos in Schuss gehaltene Kriegsschiff besichtigen.

Auf dem Weg zur Peter-und-Paul-Festung passierten wir ein 100-Kanonen-Linienschiff, welches sich bei näherer Betrachtung als Luxusrestaurant herausstellte. Mehrere solcher Schiffsfälschungen liegen an den Promenaden der Neva. Krönung und Wahrzeichen auf der Festung ist die Peter-und-Paul-Kathedrale mit den Sarkophagen der Zaren. Nach endlosen Märschen erholte man sich Abends zum Ausklang der Reise bei gutem Essen, kühlem Bier und feurigem Wodka.

Mittwoch, der 6. Juni 2007: Heimreise

Aufbruchstimmung, Packen! Jeder von uns hatte den gleichen Gedanken: Raus aus der versifften Schmuddelbude mit den baustellenmäßigen Toiletten. Aber kommt denn auch der bestellte Bus? Falls nicht, was dann? Der Bus kam überpünktlich und die ca. 20 km lange Fahrt zum Flughafen verlief reibungslos und ohne jeden Stau. Am Flughafen genossen wir noch ein letztes gemeinsames Frühstück und verpulverten die letzten Rubel.

Dann ging’s ans Einchecken. Gepäckkontrolle! Eckhardt fiel auf. Taschenkontrolle! Etwas zu verzollen? Souvenirs? Dann kam die Personensicherheitskontrolle. Schuhe aus, Gürtel raus; man kennt das ja. Die Gepäckaufgabe am Check-In-Schalter verlief reibungslos, ganz wie im Westen. Als nächstes folgte die Ausreisekontrolle. Eckhardt, wieder als Hauptverdächtiger, wurde vom Grenzer von allen Seiten mit einer Videokamera gefilmt. Erinnerungen an KGB-Zeiten wurden wach. Da wurde auch ich als harmloser Reisender nervös – schließlich unterschied sich mein Äußeres stark vom Passbild. Zum Glück verschwand der Kameramensch wieder. Nichts wie weg hier! Denkste!

Unsere Abflugzeit mit der "Pulkovo Aviation" wurde um 2 Stunden nach hinten geschoben. Irgendwann wurde dann das Gate geöffnet. Aber selbst hier gab es eine weitere Sicherheitskontrolle: Schuhe aus, Gürtel raus; ein altes Spiel, aber doppelt hält eben besser. Und nochmals Warten. Ich war erleichtert als ich endlich im Flugzeug saß. Bei der Maschine handelte es sich um eine dreistrahlige Tupolev Tu-154, leicht verwechselbar mit der Boeing-727 wie ursprünglich vorgesehen. So antiquiert wie die Maschine war, waren auch die Kostüme der Stewardessen. Immerhin wurden wir reichlich verköstigt und die Piloten, welche das Anflugverfahren noch händisch ausführten, verstanden ihr Handwerk. So landeten wir nach zweieinhalb Stunden Flug, teils bei dichter Bewölkung, in München.

Mittlerweile war aber auch hier in München schönes Wetter; das soll aber während unserer Abwesenheit gar nicht immer so gut gewesen sein. Spannung am Gepäckförderband. Alle hatten ihr Gepäck, nur ich nicht. Zwei Mal war mir das schon passiert, dass mein Gepäck fehlte. Letztendlich kam es doch. Einzeln und als letztes Gepäckstück. Danach löste sich unsere Gruppe geschwind auf; zumindest zur Hälfte. Die andere Hälfte machte noch einen - traditionellen - Einkehrschwung im Airbräu im Zentralterminal. Dann machten wir uns auf den Weg zur S-Bahn.

Fazit

Die "SEDOV" ist ein tolles Schiff, welches sich für Törns besser als je zuvor eignet. Leider hatte sich der Wind vollkommen gegen uns verschworen. Trotzdem kamen wir Trainees prächtig miteinander aus. Das wunderschöne St. Petersburg ist allemal eine Reise wert; besonders aber während der "weißen Nächte". Das Wetter war einfach traumhaft. Die Einreise in Russland, das eigenständige Reisen und sogar die Ausreise sind aber für Individualtouristen immer noch nicht ganz einfach.

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