Ein Reise-, Wander- und Törnbericht

von Erwin Welker


Auf dem Vollschiff „SØRLANDET“
von der Sail Bremerhaven zur Sail Amsterdam

(12. bis 20. August 2005)

 

Die Reise von 4 Windjammerfreunden aus dem Münchner Raum in den hohen Norden wurde per „LIDL-Ticket“ im Zug absolviert. Ein Fünfter, dessen Törn auf der „ALEX“ gebucht war, reiste über den Wolken nach Bremen. Dort hatten wir fünf (Rolf, Walter, Gerd, Eckhardt und ich) nämlich schon frühzeitig eine ruhige und preiswerte Unterkunft gebucht, denn ein Unterkommen in Bremerhaven war schier aussichtslos gewesen. Im schönen Stadtkern von Bremen mit seinen alten Gebäuden, den obligatorischen „Stadtmusikanten“ und den für den Norden typischen Kneipen begann dann unser emsiges Wandererleben.

Am nächsten Morgen brachen wir erwartungsvoll die 1-stündige Bahnreise nach Bremerhaven an. Zu Fuß ging’s vom Bahnhof zum Museumshafen, wo wir zu unserer Enttäuschung von einem heftigen Regenschauer begrüßt wurden. Die freiwillige Aushilfe beim „Passatwind“-Stand sollte für Rolf wegen einer miserablen Organisation und Koordination leider eine weitere Enttäuschung werden. Wenigstens änderte sich im Gegensatz zu den Missständen am „Passatwind“-Stand das Wetter traumhaft. Die vielen Schiffe mit ihren unzählbaren Masten, die Volksfestsstimmung vor den zahlreichen Buden und Getränkeständen sowie das Kunterbunt von hunderttausenden Besuchern internationaler Herkunft machten die Sail 2005 bereits am Samstag zu einem gewaltigen Ereignis.

Trotz der Menschenmassen und der fast erdrückenden Dichte stieß man immer wieder auf bekannte Gesichter. So stießen wir plötzlich auf ein Rudel Sauerländer, so dass auf einmal die Hälfte der Trainees vom Antiguatörn 2004 wieder beisammen war. Dieses unerwartete Stelldichein wurde sofort mit einem kühlen Bier gefeiert. Das nächste Stelldichein verlief dagegen planmäßig, nämlich am Stammtisch der „Alexianer“. Krönender Abschluss des Samstages war dann das obligatorische Feuerwerk zur Sail Bremerhaven 2005. Der Sonntagmorgen sah nicht gerade viel versprechend aus, denn alles war grau in grau und es regnete unentwegt. Trotzdem folgten wir, in Regenkluft den widrigen Umständen angepasst, der Menschenmenge, welche zielstrebig den Deich östlich der Weser ansteuerte. Und da machte sich auch schon eine gewaltige Flotte aus Segelschiffen zur bevorstehenden Parade bereit.

Von der Segel setzenden GORCH FOCK angeführt begann die Parade dann pünktlich um 3 Uhr. Und siehe da: Der Regen hörte termingerecht auf! Nun folgte ein Schiff dem anderen: Die Schwesterschiffe SAGRES II und MIRCEA, die uns bekannte KHERSONES, KRUZENSHTERN, ALEXANDER VON HUMBOLDT und viele andere, darunter „unsere“ SØRLANDET. Fürwahr, ein schönes klassisches Vollschiff!

Der amerikanische Toppsegelschoner PRIDE OF BALTIMORE II (Replik von 1830), der russische Lastsegler (Replik Ende 16. Jhdt.) und die russische Fregatte SHTANDART (Replik von 1703) schossen mit ihren Kanonen fröhlich um die Wette. Drei Stunden dauerte die Parade und mit ihrem Ende kam der Regen wieder.

Im Regen saßen wir Trainees auch, als wir mit vollem Gepäck aufs einchecken auf der SØRLANDET warteten. Doch nun gab es so viele Verzögerungen, so dass die Trainees der SØRLANDET ins Auswandererhaus gebeten wurden um dort das lange Warten mit freien Getränken zu überbrücken. Diese Erfrischungen waren uns letztendlich auch lieber als die Feuchtigkeit von außen. Tatsächlich wurde es Mitternacht bis wir an Bord unseres Vollschiffes gehen durften.

Nun frustrierten uns die nächsten Hürden. Es schien uns allen so, als ob die Norweger zum ersten Mal 70 Trainees an Bord nehmen würden, denn die Vergabe von Kojen und Spinden lief geradezu chaotisch ab und nahm über eine Stunde in Anspruch. Die Stimmung unter den zusammengewürfelten Trainees war nun schon ziemlich angespannt. Bis dann jeder unter beengten Bedingungen völlig unsystematisch seine sieben Sachen verstaut hatte und sich müde in die Koje geworfen hatte war es schon beinahe 2 Uhr. Vom Auslaufen war mittlerweile keine Rede mehr!

Zu unserer freudigen Überraschung sah der nächste Morgen bedeutend freundlicher aus: Kein Regen, Wind, milde Temperaturen und eine idyllische Morgenstimmung. Die Erwartungshaltung unter uns stieg an und schon bald legte die SØRLANDET ab, passierte gemeinsam mit der britischen Bark TENACIOUS, bei der selbst behinderte Trainees in die Bordroutine integriert werden, die Schleuse. Gemeinsam steuerten die beiden Windjammer, den Bugspriet keck nach Norden gerichtet, die Nordsee an.

Die Wellen zeigten bereits erste Schaumkronen und der Wind schien ideal zum Segeln zu sein, wenn er nicht ausgerechnet von vorn gekommen wäre. Noch in flachen Tidengewässern, die Weser achteraus, die hohe See voraus fing unser Schiff leicht zum stampfen an. Die 2 Trichter, welche beidseitig im Windschatten unterhalb der Back angebracht waren und mit Wasserhähnen ausgestattet waren machten plötzlich Sinn und wurden von einigen spontan in Anspruch genommen – manchmal sogar im Doppelpack; in Stereo sozusagen. Fischefüttern mit Stil!

Wer nun glaubt, dass die Kombüse keinen Umsatz machte irrt! Unser Walter, der sich bei der Wacheinteilung freiwillig als Backschafter gemeldet hatte, bot mit seinem Charme und Fleiß solch einen guten Service, dass den Gerüchten zufolge bei den Mahlzeiten doppelt so viel verzehrt wurde wie sonst.

Bei der englischsprachigen Unterweisung durch einige nette Norweger wurden von einer unserer Mitseglerinnen auch die hervorragende Rettungsweste sowie der fürs „Badengehen“ in nordischen Gewässern lebensnotwendige Thermoschutzanzug vorgeführt. Unsere Rollen während der Wache waren: Ausguck auf der Back, Brandwache, Bojenwache, Rudergänger und Hilfsrudergänger.

Bald wurden die ersten Segel gesetzt, wobei zunächst nur ein Klüver und ein Stagsegel die Schiffsbewegungen stabilisierten, denn die Windrichtung ermöglichte kein echtes Segeln. Auch die Möglichkeit zum Kraxeln nahm die erste Handvoll Trainees sofort wahr und erklomm die erste Saling. Mit weichen Knien aber stolzer Brust erschienen diese „Erstbesteiger“ dann wieder freudestrahlend an Deck.

Eckhardt und ich (Rolf hatte nämlich den Törn abgesagt) waren in die 8/12-Wache eingeteilt. Zu einem späteren Zeitpunkt beteiligten wir uns bei der ersten Gelegenheit zum Setzen von Rahsegeln. Nun hieß es rauf auf die Wanten, rauf auf die Fußpferde und hinaus auf die Rah um die Zeisige zu lösen.

Eine Herausforderung für Trainees, welche uns nicht auf jedem Windjammer ermöglicht wird. Mit einem herrlichen Blick von oben sahen wir steuerbord querab die Insel Helgoland. Leider drehte der Wind später in eine unglückliche Richtung, so dass die Rahsegel bald wieder aufgegeit werden mussten. Schade!

Im Laufe des kurzen Törns hatte man nur wenig Zeit sich an die vielen fremden Leute, Stammbesatzung wie Mitsegler, sowie an Wache und Bordroutine zu gewöhnen. Gemessen an dem kurzen Zeitraum klappte aber alles ganz prima. Das Wetter war ohnehin fantastisch, wobei der Wind erst nach einem Kurswechsel auf Südwest ein echtes Segeln erlaubte. Nun steuerte die SØRLANDET Amsterdam beinahe unter Vollzeug an. Ein herrliches Bild wobei sich die Fahrt über Grund bei dem schwachen Wind leider in Grenzen hielt.

Nun ein paar Details zu unserem Schiff: Die SØRLANDET wurde 1927 in Kristiansand/Norwegen erbaut und diente von Anfang an als Schulschiff. Das Vollschiff ist 65 m lang, 9,7 m breit, hat 4,65 m Tiefgang und trägt 1000 qm Segelfläche bei bis zu 27 Segeln. Angetrieben wird sie durch einen 564 PS-Diesel. Während des Weltkrieges wurde das stolze Schiff von den Deutschen als militärische Haftanstalt missbraucht und dann bei einem Bombenangriff durch die Alliierten auf Grund geschickt. Wieder gehoben diente sie als U-Boot-Depotschiff und fristete bis 1947 ohne Masten ein kärgliches Dasein. Nach der Restaurierung wurde bis 1973 der Seefahrtsnachwuchs geschult. Danach, als Stiftung betrieben, stand die SØRLANDET jungen Leuten und solchen wie wir es sind :-), für genau den Zweck zur Verfügung, den wir kürzlich wahrgenommen haben.

Mit zunehmender Anzahl an Bohrinseln näherten wir uns der niederländischen Küste und unserem Törnziel Ijmuiden. Dort machten wir am frühen Morgen des Mittwochs fest. Dann war Packen angesagt und nach unserem letzten Frühstück an Bord marschierten wir kilometerweit bis zur nächsten IJ-Fähre und zur Bushaltestelle. Das gruppenweise Einchecken im Bus mitsamt unserem sperrigen Gepäck brachte den gesamten Amsterdamer Nahverkehrsplan durcheinander. Trotzdem kamen wir zum Hauptbahnhof wo wir drei uns vom Rest der Törnteilnehmer trennten.

Wir hatten schon lange im Voraus bei der deutschen Seefahrtsmission eine Unterkunft reserviert. Diese lag, verkehrgünstig angebunden, direkt an der ruhigen Kaizersgracht. Zu Fuß, per Straßenbahn oder Kanalbus konnten wir von dort aus das ganze idyllische, aber stark verschmutzte Altstadtzentrum erreichen.

Zu Fuß sollten wir noch sehr viel unterwegs sein, denn neben der Stadt wollten wir ja auch noch zur Sail 2005. Dieses Spektakel mit all den vielen Segelschiffen, darunter die gewaltige PRINS WILLEM, die Replik eines Ostindienfahrers von 1651, den Kriegsschiffen der niederländischen Marine und den Musikbühnen war ein großes Erlebnis. Dazu mussten wir den IJ-Hafen mehrmals runden – es war für uns auch nach der Sail Bremerhaven noch ein Muss. Da läpperten sich die Kilometer zusammen.

Drüben am anderen Ufer lagen auch noch ein paar Segelschiffe und Dampfschlepper und so musste zwangsweise die IJ gequert werden. Dazu dienten Autofähren, welche als fahrbare Fußgängerbrücke fungierten. Eine Querung schien geradezu unmöglich oder zumindest wahnwitzig zu sein, denn wegen der unzähligen Wasserfahrzeuge die dort verkehrten war kaum noch Wasser zu erkennen. Das andere Ufer war schon gleich gar nicht zu sehen. Alles was irgendwie schwimmen kann war dort mit gut bemannten Fahrzeugen  unterwegs. Neben der kommerziellen Schifffahrt mit 100 m langen Binnenfrachtern und Passagierschiffen pilgerten unzählige Neugierige auf Booten und skurrilen Gefährten aller Art und Größe hin und her um so dicht wie möglich an die Stars der Sail 2005, die Windjammer, heranzukommen. Da behinderte tatsächlich ein mit Passagieren besetzter Triebwagen der Niederländischen Bahn (auf einer Schute) unsere losfahrende Fähre. Mittendrin fuhren auch eingezwängte Segelschiffe, die gewöhnlich auf See mehr Seemeilen zu anderen Objekten einhielten als hier im Gedränge Meterabstände.

Auch hier während der Sail gab es an den Abenden Feuerwerke. Unsere letzten Tage in Amsterdam nutzten wir noch um per Kanalbus durch die Grachten zu fahren und um in den Museen die Meisterwerke von Rembrandt und Van Gogh zu bewundern. Samstags traten wir dann im Zug unsere Rückreise nach Süddeutschland an.

Fazit: Ein kurzer Urlaub mit vielen Höhepunkten. Ein Törn auf einem schönen Traditionssegler. Das Wetter war besser gewesen als ursprünglich zu erwarten war wobei ungünstige Winde nicht das gewünschte Segelerlebnis gebracht haben.

 

Erwin Welker

 

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